Wien (OTS) – Der Senat 2 vom österreichischen Presserat befasste sich mit den Beiträgen „Frauenmord in Gemeindebau: Bierwirt verhaftet“, erschienen am 30.04.2021 auf „oe24.at“, und „Fatale Liebe bis in den Tod“, erschienen am 03.05.2021 in der Tageszeitung „OE24“. Nach Meinung des Senats verletzten beide Beiträge den Ehrenkodex für die österreichische Presse.
Im Beitrag „Frauenmord in Gemeindebau: Bierwirt verhaftet“ auf „oe24.at“ berichtete man über den Gastronomen, der die grüne Klubobfrau Sigi Maurer sexistisch beleidigte. Der „Bierwirt“ sei festgenommen worden, nachdem er seine Ex-Lebensgefährtin mit einer Pistole in den Kopf geschossen habe. Im Artikel heißt es dazu u.a., dass er vom Alkohol von oben bis unten zugedröhnt gewesen sei; stockbetrunken sei er auf die eintreffenden Polizisten zugewankt. Dem Beitrag ist ein Video von der Verhaftung beigefügt. Der Tatverdächtige ist zunächst auf einer Parkbank von hinten in benommenem Zustand zu sehen. Zwei Polizisten des Einsatzkommandos versuchen ihn aufzurichten, ehe der Tatverdächtige von der Parkbank herabfällt und bewusstlos am Boden liegen bleibt. Ein Leser kritisierte die Videoveröffentlichung als medienethisch bedenklich.
Persönlichkeitsschutz darf nicht außer Acht gelassen werden
Der Senat hält fest, dass Berichte über Femizide für die Allgemeinheit von Relevanz sind; die Kriminalberichterstattung dient in gewisser Weise auch der Abschreckung potentieller anderer Täter und damit der Prävention. Zudem handelt es sich beim mutmaßlichen Täter um den sogenannten Bierwirt, der nach seiner Prozessführung gegen Sigrid Maurer mittlerweile über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügt. Die Öffentlichkeit hat daher grundsätzlich ein Interesse daran, über die Festnahme des Tatverdächtigen in Wort und Bild informiert zu werden.
Aus dem öffentlichen Interesse an dem Vorfall ergibt sich jedoch nicht, dass der Persönlichkeitsschutz des Betroffenen vollkommen außer Acht gelassen werden darf. Auch ein mutmaßlicher Täter hat in einem gewissen Ausmaß Anspruch auf Schutz seiner Persönlichkeitssphäre. Die Senate des Presserats haben bereits mehrfach festgestellt, dass Bild- und Videoveröffentlichungen von kompromittierenden Situationen gegen den Persönlichkeitsschutz und die Intimsphäre der Betroffenen verstoßen. Nach Auffassung des Senats ist die Situation, in der jemand bei seiner Festnahme in volltrunkenem Zustand auf den Boden fällt und dort bewusstlos liegen bleibt, eindeutig als kompromittierend einzustufen.
Daran ändert auch nichts, dass der Abgebildete lediglich von hinten zu sehen ist. Da dieser aufgrund der Angaben im Bericht für einen gewissen Personenkreis trotzdem identifizierbar bleibt. Nach Meinung des Senats hätte die kompromittierende Situation das Medium dazu veranlassen müssen, von einer Veröffentlichung abzusehen. Hierbei ist auch unerheblich, dass der Abgebildete über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügt oder dass das kompromittierende Video zuvor bereits in den sozialen Medien verbreitet wurde. Im Ergebnis war das Medium seiner Filterfunktion nicht gerecht; nach Ansicht des Senats diente die Veröffentlichung vor allem der Befriedigung des Voyeurismus und der Sensationslust gewisser Userinnen und User.
In Tageszeitung “OE24” verwendete Begriffe von Presserat als problematisch eingestuft
Im später in der Tageszeitung „OE24“ erschienenen Artikel „Fatale Liebe bis in den Tod“ hieß es, dass das Opfer den Killer schon seit der Schulzeit gekannt habe und der „Bierwirt“ eisern schweige; der Schlüssel zum Motiv für den Mord scheine in der unseligen Beziehung zu liegen. Dem Artikel ist ein Foto von der Festnahme beigefügt, auf dem der Tatverdächtige bewusstlos am Boden liegt. Eine Leserin kritisierte den Bericht als unsensibel, zudem seien die Bildveröffentlichungen im Artikel aus medienethischer Sicht bedenklich.
Bei diesem Artikel stuft der Senat die verwendeten Begriffe „Killer“ und „Mord“ als problematisch ein. Die zuständigen Behörden ermittelten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels nach wie vor gegen den mutmaßlichen Täter. Ein etwaiger Gerichtsprozess hatte noch nicht begonnen. Insgesamt bekommt man den Eindruck, dass die Schuld des Tatverdächtigen bereits erwiesen sei. Nach Auffassung des Senats sind die Bezeichnungen „Killer“ und „Mord“ im konkreten Fall geeignet, in die Unschuldsvermutung des Tatverdächtigen einzugreifen und eine Vorverurteilung zu bewirken. Daran ändert auch nichts, dass man später anmerkte, dass für ihn die Unschuldsvermutung gelte.
Im Lichte des Persönlichkeitsschutzes sieht es der Senat auch als kritisch an, dass man beim Artikel ein Foto mit dem bewusstlosen Tatverdächtigen veröffentlichte. Allerdings handelt es sich dabei um eine Momentaufnahme. Die ist nach Ansicht des Senats nicht so gravierend zu beurteilen ist wie die Veröffentlichung eines mehrminütigen Videos dazu. Im Gegensatz zum Video war die Veröffentlichung des Fotos somit noch kein Verstoß gegen den Ehrenkodex.
Zusammenfassend greifen beide Beiträge in den Persönlichkeitsschutz des mutmaßlichen Täters ein. Sie verstoßen daher gegen Punkt 5 des Ehrenkodex für die österreichische Presse. Die Medieninhaberinnen der „oe24 GmbH“ und der „Mediengruppe ‚Österreich‘ GmbH“ nahmen an den Verfahren vor dem Presserat nicht teil. Der Senat fordert die Medieninhaberinnen dennoch auf, freiwillig über die Ethikverstöße zu berichten.
Selbständiges Verfahren aufgrund von Mitteilungen mehrerer Leserinnen und Leser
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund von Mitteilungen mehrerer Leserinnen und Leser ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund von Mitteilungen). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberinnen von „oe24.at“ und der Tageszeitung „OE24“ haben von der Möglichkeit, mit dem Presserat an dem Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberinnen von „oe24.at“ und der Tageszeitung „OE24“ haben die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.